Während es in Sri Lanka mittlerweile voll ordinierte Nonnen (Bhikshunis) gibt, ist die tibetische Tradition noch nicht so weit. S.H. der Dalai Lama mahnt seit Jahren, dieses wichtige Gelübde für buddhistische Frauen wiedereinzuführen. Carola Roloff berichtet von Chancen und Widerständen im tibetischen Buddhismus.
Im Westen fragen sich viele Frauen, ob der tibetische Buddhismus für sie die geeignete Geistesschulung ist. Sie finden nur wenige qualifizierte Lehrerinnen mit einem entsprechenden religiösen Titel. Es gibt bisher nur drei weibliche Tulkus und nur wenige tibetische voll ordinierte Nonnen (Bhikshunis). Bis jetzt durfte keine Nonne oder Laienanhängerin den akademischen Titel einer Geshe-ma oder Khen-mo erlangen.
Das traditionelle Klosterstudium steht Frauen erst seit Ende der 80er Jahre offen. S.H. Dalai Lama gehört zu jenen, die sich seit langem sowohl für die volle Ordination von Nonnen als auch für den Studienweg zum weiblichen Geshe einsetzen. In der Diskussion um die Gleichberechtigung von Mönchen und Nonnen geht er sogar noch einen Schritt weiter. Eine gute, einvernehmliche Lösung in dieser strittigen Frage sei auch für China ein modellhaftes Beispiel, "wenn wir nach Tibet zurückkehren".
Einige westliche Frauen, die den tibetischen Buddhismus praktizieren, haben in den letzten 25 Jahren die volle Ordination in Korea, Taiwan, Hongkong oder bei Mönchen und Nonnen im vietnamesischen Exil genommen. Im tibetischen Buddhismus gibt es diese höhere Weihe für Frauen anders als zu Lebzeiten des Buddha real nicht mehr, weil das entsprechende Gelübde nicht von Indien nach Tibet überliefert wurde.
Vom 22. bis 24. Mai 2006 fand in Dharamsala eine Konferenz tibetischer Vinaya-Meister (Vinaya = Regelwerk für Mönche und Nonnen) statt. Im Mittelpunkt sollte die Frage stehen, wie die Ordination für Nonnen (Bhikshunis) nötig sei. Schließlich sei es doch die letzten 1000 Jahre ganz gut ohne gegangen, die Bodhisattva- und Tantra-Gelübde seien ohnehin wichtiger und die Regeln für Frauen vielleicht zu schwer einzuhalten. Die Teilnehmer konnten sich nicht auf konstruktive Lösungen einigen. Manche sahen gar das Überleben des Buddha Dharma (Lehre des Buddha) gefährdet, gäbe man den Frauen heutzutage die gleichen Möglichkeiten wie zur Zeit des Buddha.
Während S. H. Dalai Lama, Prof. Samdhong Rinpoche, Gyalwa Karmapa und der Minister für Religion und Kultur sich in ihren Eingangsreden eindeutig dafür aussprachen, konnten sich die Befürworter bei der Mehrheit der tibetischen Vinaya-Meister nicht durchsetzen. Gegen Ende der Tagung meinte etwa die Hälfte der Mönche, einen Ausweg gefunden zu haben: Tibetische Nonnen sollten die Ordination in Taiwan, Korea oder in der vietnamesischen Tradition nehmen. Damit wäre aber der ganze Prozess gescheitert, und es gäbe in der tibetischen Tradition weiterhin keine Nonnenordination. Einige westliche Nonnen verließen daraufhin resigniert die Versammlung.
Prof. Samdhong Rinpoche war mit dem Ergebnis unzufrieden und kündigte am Ende der Konferenz an, dass nun ein vier- bis fünfköpfiges Komitee unter seiner persönlichen Führung eingesetzt werde, um die schon über 25 Jahre andauernden Forschungen zu einem guten Abschluss zu bringen. Eine Lösung soll bis September 2006 erarbeitet und bis Ende des Jahres führenden Lamas und Äbten aller vier Traditionen vorgelegt werden.
Die Frage ist, wie es überhaupt tibetische Nonnen geben kann, wenn es keine Bhikshunis (voll ordinierte Nonnen) gibt, die sie in den Orden aufnehmen könnten. Die Frauen, die heutzutage als tibetische Nonnen, auf Tibetisch "Ani" bezeichnet werden, sind ordensrechtlich betrachtet in der Regel Novizinnen, in der Karma-Kagyü-Tradition sogar nur Postulantinnen (Rabjung).
Tibetische Noviz-Nonnen werden erstmals in den "Blauen Annalen" während der späten Ausbreitung der Lehre nach Tibet im 11./12. Jh. n.Chr. erwähnt, nicht jedoch in der frühen Ausbreitung im 8. /9. Jh. In Indien und Nepal gab es bis Ende 11. und Anfang 12. Jh. Bhikshunis, sogar in der Klosteruniversität Nalanda.
Die Tibeter praktizieren ausschließlich die Ordensregeln (Vinaya) der Mulasarvastivadins, die vorwiegend in Nordindien und in Nepal verbreitet waren. Der bengalische Meister Chandrakirti (gest. ca. 788) brachte den Vinaya der Mulasarvastivadins in der zweiten Hälfte des 8. Jh. nach Tibet. Ein letztes Dokument, in dem eine Nonne in Nepal erwähnt wird, stammt aus dem Jahr 1069. Obwohl das Bhikshuni-Gelübde nicht nach Tibet überliefert wurde, gab es in Tibet trotzdem vom frühen 14. bis Anfang 16. Jh. Bhikshunis (Tib. Gelongma). Spätestens mit dem 5. Dalai Lama (17. Jh.) ist in den Überlieferungen jedoch keine Rede mehr von Gelongmas.
"Überall wird von der Gleichheit gesprochen. Ob unter den Tibetern, Chinesen oder Europäern, überall finden wir eine größere Anzahl Frauen, die Interesse an der Religion und besonders auch am Buddhismus haben. Wenn ich Unterweisungen gebe, sind die Frauen in der Überzahl. Frauen haben also ein natürliches Recht. Der Buddhismus braucht Gleichheit." (S.H. der Dalai Lama in Zürich 2005)
Die Gültigkeit von Ordinationen hängt insbesondere von der Motivation, der korrekten Durchführung des Rituals und der Authentizität der Ordinationslinie der Pratimoksha-Gelübde, der Gelübde zur eigenen Befreiung ab, also in diesem speziellen Fall von der ununterbrochenenen Übertragungslinie des Bhikshuni-Gelübdes. Bei der Wiederbelebung des Gelübdes sind vor allem formaljuristische Fragen des Ordenrechtes von Bedeutung.
Alle Interpretationen und Traditionen des Vinaya heute stimmen darin überein, dass anfangs eine Ordination nur durch Bhikshus, die Mönche, gestattet war und der Buddha später eine stufenweise Ordination von Frauen für Frauen vorschrieb. Das höchste Gelübde, das einer Bhikshuni, wird am selben Tag vor beiden Orden, dem Bhikshuni- und Bhikshu-Sangha, genommen.
Die Tibeter haben ein einzigartiges System der Aufzeichnung von Übertragungslinien entwickelt. Tibetische Vinaya-Gelehrte erachten die ununterbrochene Linie der Nachfolge der Äbte oder Äbtissinnen für sehr wichtig. Denn durch sie soll der Ursprung der Bhikshu- und Bhikshuni-Gelübdes nachgewiesen werden. Die Gelübde müssen dem Ritual entsprechend von Generation zu Generation von Meister auf Schüler bzw. Meisterin auf Schülerin übertragen werden. Dies geschieht durch die Ordination. Wenn die Linie abgebrochen ist, muss bei Wiederherstellung nachgewiesen werden, dass die neu übernommene Linie ununterbrochen bis zum Buddha zurückreicht.
Die Meisterinnen und Meister einer solchen Linie werden als "Linienhalter" bezeichnet. Dazu wird man nicht ernannt. Es reicht, eine entsprechende Überlieferung erhalten zu haben und diese an die eigenen Schülerinnen und Schüler weiterzugeben. Tibetische Bhikshu-Linien beginnen mit Buddha Shakyamuni oder Shariputra, gefolgt von Rahula. Historisch ist natürlich sehr schwer nachzuweisen, dass diese Linie wirklich 2500 Jahre lang bestanden haben soll, aber in Asien gibt es ein starkes Vertrauen in die Reinheit der eigenen Tradition.
In Tibet gab es mehrere Vinaya-Ordinationslinien. Zum Beispiel wurde angenommen, dass der 13. und 14. Dalai Lama in einer Linie ordiniert wurden, die der große kaschmirische Pandita Sakyasribhadra (1140-1225) nach Tibet übermittelt hatte. Eine andere Linie gleichen Ursprungs ist die von Je Tsongkhapa (1357-1419), dem Gründer der Gelug-Tradition.
Es gibt auch eine sog. "untere Line". "Untere" bezieht sich auf Amdo und Kham "unten" in Osttibet. Als König Langdarma im 9. Jh. die buddhistische Lehre zerstörte, gingen Tölungpa Mar Shakyamune, Bodongpa Yo Gejung und Tsang Rabsal nach Dänthig in Amdo und führten dort gemeinsam mit den beiden chinesischen Mönchen Kevan und Gyivan zu fünft die volle Ordination für den berühmten Lachen Gongpa Rabsal (952/3-1035) durch. Der 13. und 14. Dalai Lama sind auch Halter dieser Linie.
Nach jüngsten Forschungsergebnissen, deren Veröffentlichung in Indien in Vorbereitung sein soll, ist S.H. der Dalai Lama vermutlich nur Halter dieser einen unteren Vinaya-Linie. Da die beiden genannten chinesischen Mönche mit großer Wahrscheinlichkeit genauso wie die chinesischen Bhikshunis der Dharmagupta-Tradition angehörten, wäre das ein guter Grund, jetzt gemeinsam mit chinesischen Nonnen dieser Tradition die Bhikshuni-Gelübde im tibetischen Buddhismus wiederzubeleben.
Ein weiteres wichtiges Kriterium für die Wiederbelebung des Bhikshuni-Gelübdes ist die korrekte Ausführung des Ordinationsrituals. Laut Vinaya sind dafür verschiedene Anforderungen nötig. Zum Beispiel müssen die Kandidaten ein Mindestalter und eine korrekte heilsame Motivation haben. Obwohl Fehler im Ritual zu vermeiden sind, gibt es sie schon seit dem historischen Buddha, etwa dass ein Kandidat beim Ritual einschläft. Der Erwachte erklärte diese Ordination aber für gültig. In der Regel gilt eine Ordinationszeremonie als rechtskräftig, wenn sie von allen nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt und abgeschlossen wurde und dann noch Zeit und Ort der Ordination verkündet wurden. Es ist nicht bekannt, dass eine Ordination im Nachhinein als ungültig erklärt wurde.
Tibetische Mönchsgelehrte sehen zwei Wege, Bhikshunis im Einklang mit der Vinaya-Tradition Tibets zu ordinieren: die Ordination der Nonnen allein durch einen Mönchssangha oder die duale Ordination, d. h. eine Ordination vor dem Mönchs- und Nonnen-Sangha.
Einige tibetische Mönche und Novizinnen favorisieren eine Ordination allein durch Bhikshus, weil sie in ihrer eigenen Vinaya-Tradition praktizieren möchten und sich sicher sind, dass die tibetische Bhikshu-Linie rein und ununterbrochen ist. Viele Novizinnen würden die Bhikshuni-Gelübde gern vor S.H. Dalai Lama ablegen. Weil es derzeit keine Bhikshunis in der eigenen Tradition gibt, diskutiert man, ob man nicht, wie bei der Ordination für Novizinnen, das Ordinationsritual für Mönche benutzen kann.
Eine andere Möglichkeit ist, dass Mönche der tibetischen Mulasarvastivada-Tradition gemeinsam mit Nonnen der chinesischen Dharmagupta-Tradition das Ritual vollziehen. Unsicherheit besteht hier vor allem in der Frage, ob man zwei Vinaya-Schulen miteinander vermischen darf. Da es zu Zeiten Buddhas keine verschiedenen Vinaya-Schulen gab und der Buddha dies nirgends verboten hat, müsste es daher erlaubt sein, da alle Schulen auf ihn zurückgehen. So wäre es möglich, die Dharmagupta-Tradition nachträglich in den tibetischen Buddhismus einzuführen oder aufgrund der Kombination mit tibetischen Mönchen zu beschließen, dass die Nonnen fortan gemäß der Mulasarvastivada-Tradition praktizieren werden.
Das Bhikshuni Pratimoksha Sutra und Ordinations-Ritual wurden bereits vor vielen Jahren vom Chinesischen ins Tibetische übersetzt. Heutzutage gibt es auch viele Tibeterinnen und Tibeter, die zweisprachig aufgewachsen sind. So diskutierte auf der Konferenz im Mai 2006 der Karmapa mit taiwanesischen Nonnen den Vinaya auf Chinesisch. Zwei Bücher mit den chinesischen Bhikshu- und Bhikshuni-Linien liegen inzwischen vor.
Es gibt viele Lösungsmöglichkeiten, und wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Der Dalai Lama mahnt nachdrücklich, die Zeit im Exil auch in dieser Frage durch Diskussionen und weise Entscheidungen gut zu nutzen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen China und Tibet bei der Wiedereinführung der Nonnenordination könnte auch einen Impuls für eine Annäherung auf der politischen Ebene geben. Zumindest auf religiöser Ebene wäre der Beweis erbracht, dass beide konstruktiv zusammenarbeiten können.
Auf einem internationalen wissenschaftlichen Kongress mit Vertretern buddhistischer Traditionen soll im Juli 2007 an der Universität Hamburg der aktuelle Forschungsstand zur Wiedereinführung der Bhikshuni-Ordination zusammengetragen werden. Der Kongress findet vom 18. bis 20. Juli 2007 vor Beginn der einwöchigen Unterweisung mit S.H. Dalai Lama statt.
In einem Empfehlungsschreiben für die Organisatorinnen des Kongresses schreibt der Dalai Lama: "Ich habe zugestimmt, am 20. Juli 2007 an dem Symposium teilzunehmen und werde meine volle Unterstützung geben. Ich hoffe, dass das Symposium buddhistische Frauen in ihrer Hingabe für ein religiöses Leben inspirieren und ihre soziale Anerkennung verbessern wird."
Das 1986 gegründete Kloster, in dem tibetische Nonnen im Exil die traditionelle Klosterausbildung durchlaufen können, geht auf eine gemeinsame Initiative von S.H. Dalai Lama und der Tibetischen Frauenorganisation zurück. Die Deutsche Tibethilfe und das Tibetische Zentrum haben von Anfang an den größten Teil der finanziellen Mittel für dieses Projekt bereitgestellt. Bald werden hier die ersten Gelehrtinnen ihre Ausbildung mit dem Titel der Geshe-ma abschließen.
dieser Artikel erschien in "Tibet und Buddhismus"